Internationale Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg: Zentrum für die kulturelle, soziale und politische Jugendbildung in Schleswig-Holstein

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2. Obergeschoss

Angeln im Nationalsozialismus

Schleswig-Holstein – Hochburg der Nationalsozialisten

Straßenkämpfe und Unordnung
Die Weimarer Republik steht auch in Schleswig-Holstein auf tönernen Füßen. Die Anfangsjahre sind negativ geprägt durch den Versailler Friedensvertrag, die Hyperinflation 1923 und die Auswirkungen der Grenzverschiebung 1920. Nach einer Zeit der politischen und gesellschaftlichen Stabilisation bis 1928 sind die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise nach 1929 in Schleswig-Holstein deutlich spürbar. Die politische Unzufriedenheit drückt sich vor allem auf der Straße aus. Es kommt vielfach zu Straßenschlachten zwischen den politischen Gegnern des linken und rechten Lagers, die von 1928 bis 1933 fast 50 Todesopfer fordern.

Aufstieg zum Erfolg 
1925 gründet Hinrich Lohse (1896–1964) in Neumünster die schleswig-holsteinische NSDAP. Lohse wird kurz darauf von Hitler zum Gauleiter der „Nordmark“ und 1933 zum Oberpräsidenten der Provinz ernannt. Er behält diese Ämter bis 1945. Die Mitgliederzahlen sind zunächst moderat. Dies wird sich mit der gezielten Agitation bis Ende der 1920er Jahre ändern. Vor allem bei der Landbevölkerung stößt die Propaganda der NSDAP auf fruchtbaren Boden.

Bei der Reichstagswahl im Sommer 1932 erzielt die NSDAP einen Stimmenanteil von 51%. Die absolute Mehrheit der Schleswig-Holsteiner wählt mithin die Nationalsozialisten. Ein trauriger Spitzenwert, der in keiner anderen Provinz des Deutschen Reiches zu diesem Zeitpunkt erreicht wird. Knapp ein Jahr später zur Reichstagswahl im März 1933 steigen die Stimmenanteile der NSDAP in Schleswig-Holstein noch weiter an.

NSDAP-Stimmenanteile bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933

= über 70 % Stimmanteil

= über 60 % Stimmanteil

= über 50 % Stimmanteil

= unter 50 % Stimmanteil

Vermarktung der Ideologie
Auf dem Land tragen die unterschiedlichen Besitzverhältnisse einen entscheidenden Teil zum Erfolg der NSDAP bei. Im Gegensatz zur Marsch und zum östlichen Hügelland herrschen auf der Geest ärmliche Verhältnisse, die durch die Wirtschaftskrise noch verschärft werden. Dazu bedienen sich die Nationalsozialisten auch der Folklore und der plattdeutschen Sprache, um ihre Ideologie zu verbreiten. Darüber hinaus tritt die NSDAP öffentlichkeitswirksam auf, so zieht sie in Aufmärschen, Fackelzügen und mit Hetz-Rednern durch die Städte und Dörfer. Sie präsentiert sich als die Instanz, die Ruhe und Ordnung in das gesellschaftliche und politische Chaos der Weimarer Republik bringen und die Wirtschaftskrise beseitigen könne.

 

 

Die NSDAP in Angeln

Später Erfolg der NSDAP 
In der Region Angeln erhält die NSDAP vergleichsweise spät breite Zustimmung. Allerdings werden dann bei der Märzwahl 1933 in den Landkreisen Südtondern und Flensburg-Land die höchsten Ergebnisse der NSDAP in Schleswig-Holstein erzielt.  Im Unterschied zur Marsch und dem Geestrücken ist die Mischwirtschaft in Angeln erhalten geblieben. Das bedeutet, dass die Landwirtschaft in der Region weiterhin durch Milchwirtschaft, Viehzucht und Getreideanbau breit aufgestellt ist. Andere Landesteile Schleswig-Holsteins setzen dagegen auf reine Schweinehaltung oder Kohlanbau. Gerade diese spezialisierten Betriebe sind von der Weltwirtschaftskrise ab 1929 deutlich stärker betroffen als die Bauern in Angeln.

Eine weitere Ursache ist die gesellschaftliche Struktur. Das östliche Hügelland Schleswig-Holsteins und auch die Region Angeln haben eine lange Gutshoftradition. Die Großgrundbesitzer, die oftmals auch in der Politik den Ton angeben, sehen sich lange in anderen national-konservativen Parteien gut vertreten.

Fehlende Struktur
Die Ortsverbände der NSDAP in Südtondern und Flensburg-Land sind zunächst personell schwach aufgestellt. Ebenso sind sie weniger strukturiert als vergleichbare Ortsverbände. Dies ändert sich mit den großen Erfolgen in den südlichen Teilen der Provinz ab 1930. Der nördlichste Teil Schleswig-Holsteins rückt in den Fokus der Propagandaarbeit der NSDAP, die insbesondere die Grenzfrage thematisiert.

Ostersturm – „Volk will zu Volk”
Der grenzpolitische Sprecher der NSDAP Schleswig-Holstein, Pastor Johann Leopold Peperkorn (1890 – 1967), entfacht 1933 erneut den Konflikt zwischen Dänemark und dem Deutschen Reich. Nordschleswig soll seiner Meinung nach Teil des Reiches werden. Dabei wird er tatkräftig von Wilhelm Sievers (1896– 1966), dem Vorsitzenden des „Schleswig-Holsteiner Bundes” und Oberbürgermeister von Flensburg, unterstützt. Es bilden sich radikal deutsch-nationale Gruppierungen, die eine Revision der Grenzziehung fordern. Die Situation spitzt sich bis zu den Ostertagen 1933 mit Aufmärschen und Kundgebungen an der deutsch-dänischen Grenze zu, so entsteht der Name Ostersturm. Schließlich wird die schleswig-holsteinische NSDAP in ihrem Bestreben durch einen Eingriff aus Berlin gebremst. Das NS-Regime will keinen Streit mit Dänemark.

 

 

225.000 Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein 

Alltag während des 2. Weltkrieges
Die Region Angeln bleibt von den direkten Kriegseinwirkungen weitgehend verschont. Allerdings ist der Einzug der wehrfähigen Männer zum Militär schnell spürbar. In späteren Kriegsjahren werden Jungen und auch Mädchen ab einem Alter von 15 Jahren bereits zu militärischen Aufgaben wie der Flugabwehr herangezogen. Dieses Ausbleiben männlicher Arbeitskraft macht sich besonders in der Landwirtschaft bemerkbar. Oftmals übernehmen Frauen geschäftsführende und körperliche Aufgaben, obwohl dies dem propagierten NS-Frauenbild widerspricht.

Zwangsarbeit in Flensburg
Insbesondere in der Rüstungsindustrie und in der Grundversorgung muss die fehlende Arbeitskraft ersetzt werden. In der Stadt Flensburg wird der Bedarf an Zwangsarbeitern deutlich. Fast 3.550 Menschen werden während des 2. Weltkriegs unter Zwang in unterschiedlichen wirtschaftlichen Bereichen eingesetzt. Bis 1944 muss fast die Hälfte der 225.000 Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein in der Landwirtschaft arbeiten. In Flensburg werden bereits seit 1939 andere Arbeiten verrichtet. Die Zwangsarbeiter sind hier vornehmlich für bauliche Maßnahmen wie Kasernen und Baracken eingesetzt. Auch der Bereich Verkehr und die Energieversorgung der Stadt müssen abgedeckt werden. In der Flensburger Werft steigt die Beschäftigungszahl von 1934 bis 1943 von 145 auf 2.500 Arbeiter an. Der Großteil sind Zwangsarbeiter.

Ab 1940 beginnt die Errichtung von Gefangenenlagern. Der konsequente Ausbau beginnt allerdings erst nach dem Zustrom sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeitern. Das „Ostarbeiter-Lager” ist während des Krieges die größte  Haftanstalt in Flensburg. In der Eckernförder Landstraße werden in 12 Baracken über 1.200 Menschen inhaftiert.

Bombenkrieg
Aufgrund der ländlichen Strukturen und der kaum vorhandenen Rüstungsindustrie in der Region Angeln bleiben Bombardierungen aus. Die Ausnahme bildet Flensburg. Am 19. Mai 1943 wird Flensburg von amerikanischen Flugzeugen bombardiert. Durch zielgerichtete Angriffe auf die Werft und die Energieversorgung der Stadt bleibt die Flensburger Altstadt nahezu unversehrt. Im Unterschied dazu ist die Landeshauptstadt Kiel flächendeckenden Bombardierungen ausgesetzt und wird in weiten Teilen zerstört. Dabei fordern die Angriffe eine große Anzahl ziviler Todesopfer.

„Reichshauptstadt Flensburg“

"Flensburger Regierung"
Am 30. April 1945 begeht Adolf Hitler (1889–1945)  Selbstmord. Zuvor hat er in seinem „politischen Testament“ den Großadmiral Karl Dönitz (1891–1980) zu seinem Nachfolger als Reichspräsident und Oberbefehlshaber der Wehrmacht ernannt. Die von Dönitz neu gebildete geschäftsführende Regierung flüchtet in den Folgetagen nach Flensburg-Mürwik in die Marineschule und in das umliegende Angeln. Flensburg wird für drei Wochen quasi zur provisorischen Reichshauptstadt.

23 Tage
Zwischen der Bekanntmachung des Selbstmords Hitlers am 1. Mai und der Verhaftung seines Nachfolgers Dönitz am 23. Mai sind Flensburg und Angeln zentrale Schauplätze des untergehenden „Dritten Reichs“. Trotz der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai ist seitens der Alliierten zunächst unklar, wie mit dieser „Reichsregierung” umzugehen ist.

In den letzten Kriegstagen erreichen sogenannte Räumungstransporte aus dem KZ Neuengamme die Stadt. Die Gefangenen werden unter unmenschlichen Bedingungen auf dem Schiff „Rheinfels” im Hafen untergebracht. In unmittelbarer Nähe werden an Bord des Zerstörers “Paul Jacoby” drei Matrosen wegen Sabotage zum Tode verurteilt und auf dem Marineschießplatz am Tremmeruper Weg am 5. Mai hingerichtet. Verheerend sind auch die „fliegenden Standgerichte“, die ohne direkten Befehl, Personen, die sich nicht ausweisen können, an Ort und Stelle hinrichten. Diese Willkür kostet noch am 22. Mai einem jungen Mann in Grundhof das Leben.

Die Alliierten dämmen das Treiben der Dönitz-Regierung nur schrittweise ein. Erst am 23. Mai werden Dönitz und seine Minister in der Marineschule verhaftet. Die schleswig-holsteinische Bevölkerung taumelt zwischen Erleichterung, Trauer um Angehörige und Angst vor den Alliierten. Gleichwohl findet bis zuletzt das NS-Regime durchweg Unterstützung im Volk.

„Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt:  Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. (...) Wir brachten den Wortlaut des letzten Wehrmachtsberichts dieses Krieges. (…)“ 

Gekürztes Zitat: Auszug aus dem letzten Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht, verlesen von Klaus Kahlenberg, Sprecher des Reichssenders Flensburg, 9. Mai 1945

„Rattenlinie-Nord”
Auf der sogenannten „Rattenlinie-Nord“ flüchten zahlreiche Schergen und Größen des Nationalsozialismus nach Schleswig-Holstein. Die Reichsregierung sammelt sich vor allem in der Region Angeln sowie der Stadt Flensburg. Darunter befinden sich der Ex-Rüstungsminister Albert Speer (1905–1981), der sich standesgemäß im Schloss Glücksburg einquartiert, sowie der Chef des Generalstabs der Wehrmacht, Generaloberst Alfred Jodl (1890 – 1946), der sich – wie Dönitz – in der Marineschule Mürwik aufhält.

Auch die Spitzen der Schutzstaffel (SS) flüchten sich nach Schleswig-Holstein. Reichsführer-SS Heinrich Himmler (1900–1945) entzieht sich zunächst seiner  Verhaftung, indem er sich auf Bauernhöfen in Ellgaard bei Esgrus, Hüholz bei Ausacker und in Kollerup bei Großsolt versteckt. Der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz Rudolf Höß (1890–1947) hält sich mit falscher Identität auf einem Bauernhof im Ort Gottrupel bei Flensburg auf. Unter dem Namen Fritz Lang arbeitet Höß als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter und bleibt bis März 1946 unentdeckt.