Internationale Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg: Zentrum für die kulturelle, soziale und politische Jugendbildung in Schleswig-Holstein

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3. Obergeschoss

Wandel einer Grenzregion

Aller Anfang ist schwer

Deutsche Kapitulation 
Die deutsche Besetzung Dänemarks endet am 5. Mai 1945. Am Ende des Krieges halten sich etwa 240.000 deutsche Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in Dänemark auf – eine große wirtschaftliche Belastung. Es entstehen Gesamtkosten in Höhe von ca. 428 Mio. Kronen. Erst Ende 1949 verlassen die letzten Kriegsflüchtlinge Dänemark.

Neudänentum 
Der dänische Staatsminister Vilhelm Buhl (1881-1954) verkündet 1945, dass die Grenzen Dänemarks festliegen, doch entspricht dies nicht der Meinung aller dänischen Politiker. Deren Forderung nach einer Grenzrevision erhält vielfach Zuspruch. Unterstützt wird diese durch den Südschleswigschen Verein (dän.: Sydslesvigsk-Forening), der bis Mai 1948 auf 75.000 eingetragene Mitglieder anwächst. 

Ein Grund für die Hinwendung zum Dänentum: Bis Ende 1946 suchen 1,2 Mio. Menschen Zuflucht in Schleswig-Holstein. Die Bevölkerungszahl verdoppelt sich nahezu. Neben der vielfach gelebten Solidarität befürchten auch viele Schleswig-Holsteiner eine „Überfremdung” und sehen ihre eigene Identität bedroht.
Die „Speckdänen” In weiten Kreisen der Bevölkerung etabliert sich im Zuge der Hungerwinter 1945/46 und 1946/47 der Begriff „Speckdänen”. Diese abwertende Formulierung unterstellt, dass sich Teile der sogenannten „Neudänen” nur deshalb Dänemark zuwenden, weil sie sich Lebensmittellieferungen vom nördlichen Nachbarland erhoffen. Aus heutiger Sicht ist diese Unterstellung nicht zutreffend, da die Hinwendung zum Dänentum durchaus vielfältigen Gründen zugeordnet werden kann.

London calling

Das Ende der Grenzdiskussion 
Ab 1947 regieren in Dänemark erneut Sozialdemokraten, die, übereinstimmend mit der britischen Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein, die bestehende deutsch-dänische Grenze nicht in Frage stellen. Eine Konferenz in London 1948 über die Zukunft Südschleswigs kommt zu dem Ergebnis, dass eine Grenzverschiebung keinendauerhaften Frieden im Grenzland schaffen kann, sondern vielmehr garantierte Rechte für die nationalen Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze geschaffen werden müssen.

Infolgedessen drängt die britische Regierung auf Verhandlungen zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein. Die äußeren Umstände sind durchaus günstig. Die dänische Seite erkennt angesichts des sich anbahnenden Kalten Krieges, dass sichere Grenzen und verlässliche Partner eine tragende Rolle für die nationale Sicherheit spielen.

1949 wird die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Auch Schleswig-Holstein soll eine neue Landesverfassung erhalten, die allerdings auch einer Zustimmung durch die Briten bedarf. So ergibt sich ein weiterer Grund für die schleswig-holsteinische Regierung, Verhandlungen mit Vertretern der dänischen Minderheit aufzunehmen.

Kleine Nadelstiche

Repression statt Repräsentation 
Die praktische Umsetzung der Kieler Erklärung von 1949 verläuft in den Folgejahren nicht wie erwünscht. Die dänischen Südschleswiger fühlen sich von der konservativen Landesregierung diskriminiert. Von 1951 bis 1954 betreibt der Ministerpräsident Friedrich Wilhelm Lübke (1887-1954) eine Politik der „Nadelstiche”. Er fordert eine Loyalitätserklärung der dänischen Minderheit und setzt die Erhöhung der Sperrklausel bei Landtagswahlen von 5% auf 7,5% durch. Auch entsteht u. a. der Deutsche Grenzverein als ein Instrument, um im nördlichen Landesteil in Abgrenzung vom dänischen gezielt deutsches Kulturgut zu verbreiten und zu erhalten. 

Die politische Repräsentation im Kieler Landtag wird zum Kernproblem für die dänische Minderheit. In den Jahren 1953/54 entsenden die deutschen Nordschleswiger mit 12.000 Stimmen einen Vertreter ins dänische Parlament. Auf deutscher Seite entfallen 42.000 Stimmen auf die Vertreter der dänischen Minderheit, die damit allerdings keinen Sitz im Landtag (bzw. auch Bundestag) für sich beanspruchen können.

Die Grenzfrage  wird Chefsache

Bonn-Kopenhagener-Erklärungen
Erst mit dem neuen Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel (1912-1997) und seinem Bekenntnis zur Kieler Erklärung kann eine Lösung des Konflikts erreicht werden. Erneute geopolitische Gründe, wie z. B. der anstehende Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, führen zu konkreten Verhandlungen zwischen Kopenhagen und Bonn, die auch Südschleswig berühren. Im Ergebnis unterzeichnen der dänische Staats- und Außenminister H.C. Hansen (1906-1960) und Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) 1955 die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen. Die Erklärungen sind zwar eigenständig, aber weitgehend identisch und sichern den nationalen Minderheiten nördlich und südlich der Grenze ihre Grundrechte und Privilegien zu. Auch das Problem der politischen Repräsentation wird im Zuge der Bonn-Kopenhagener-Erklärungen gelöst. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) wird 1955 explizit von der 5%-Sperrklausel befreit und ist fortan im schleswig-holsteinischen Landesparlament vertreten.

Kein Auslaufmodell
Heute sind Dänemark und Schleswig-Holstein durch ein enges Band miteinander verknüpft. Die Minderheiten in der Grenzregion sind Brückenbauer. Die Aktivitäten der deutschen und dänischen Minderheit tragen zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt des deutsch-dänischen Grenzlandes bei. Sie betreiben eigene Bildungseinrichtungen, kirchliche und soziale Arbeit, verfügen über Presseorgane und bieten in Vereinen sportliche und kulturelle Aktivitäten an.

Trecker statt  Pferd und Pflug

ModernisierungDer Trecker ist das Sinnbild der einsetzenden Modernisierung Ende der 50er Jahre. Er erlaubt es, landwirtschaftliche Tätigkeiten unabhängiger auszuüben und ersetzt das Pferdegespann. Doch der Trecker stellt 1958 mit 10.000 DM eine große Investition für viele Landwirte dar. 

Der Wandel der Landwirtschaft ist nicht nur an den Investitionen abzulesen, sondern auch an den immer größeren Flächen, die bestellt werden können. Die Folge ist ein regelrechtes „Höfesterben”. Immer mehr kleine Höfe geben ihre Arbeit auf und große Höfe nehmen an Fläche zu. Dieser Prozess hält bis heute an. Dazu entstehen Mitte der 1950er Jahre die ersten Massentierhaltungen in Schleswig-Holstein, die sich immer weiter durchsetzen werden. Genauso kann gezielte Viehzucht die Erträge deutlich steigern. Insgesamt findet die Spezialisierung der Landwirtschaft hier ihren Anfang.


Dies ist keine Jugendherberge

Der Scheersberg: Eine internationale Bildungsstätte„Der Berg”, wie der Scheersberg von Mitarbeitern und Besuchern genannt wird, ist tatsächlich mit 70 m. ü. NN eine der höchsten Erhebungen in Angeln und wirdseit jeher als Ausflugsziel der umliegenden Bevölkerung genutzt. Mit der Einweihung des Bismarckturms (1903) und dem Bau des Wallrothhauses (1927) wächst die Anziehungskraft des Scheersbergs stetig. Von 1921 bis 1933 findet jährlich das Nordmarkfest auf dem Scheersberg statt und wird seit 1947 bis heute als Scheersbergfest fortgeführt. Unterbrochen wird die regelmäßige Ausführung dieses traditionellen Jugendsportfestes durch die Nationalsozialisten, die zwischen1933 und 1945 vor allem ihre Jugendorganisationen hier versammeln. Durch einen Vertrag mit dem Kreis Flensburg-Land werden 1948 die Anlagen auf dem Scheersberg dem Verein für Erwachsenenbildung und Büchereiwesen, dem heutigen Deutschen Grenzverein, zur Nutzung zur Verfügung gestellt. 1960 erhält die Jugendherberge auf dem Scheersberg den Namen „Jugendhof Scheersberg”. In der Zwischenzeit entwickelt sich der Scheersberg zu einem Zentrum für die kulturelle, soziale und politische Jugendbildung in Schleswig-Holstein und trägt seit 2002 seinen heutigen Namen: Internationale Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg.

Dänisch ist – wer sich dänisch fühlt

Das freie Bekenntnis zur nationalen Minderheit Am Ende der Verhandlungen steht die „Kieler Erklärung” vom 26. September 1949, in der die schleswig-holsteinische Landesregierung den Wunsch zum Ausdruck bringt, das friedliche Zusammenleben zwischen Mehr- und Minderheit(en) – die friesische Minderheit war in der Kieler Erklärung mit eingeschlossen – zu wahren. Wichtige dänische Wünsche werden erfüllt und haben bis heute Bestand.

Der wohl bedeutendste Artikel lautet:

„Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei. Es darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden.“

Jeder Deutsche kann sich frei zum dänischen Volkstum bekennen. Fortan gilt: Jeder ist Däne, der Däne sein will. Der Schritt zur Bekenntnisminderheit ist ein Meilenstein auf dem Weg zum gesellschaftlichen Frieden im Grenzland, der jedoch noch einige schwierige Etappen vor sich haben wird. Die Kieler Erklärung sieht vor, dass die dänische Seite eine ähnliche Erklärung für die deutsche Minderheit in Sønderjylland/Nordschleswig proklamiert. Diese Garantie gibt es jedoch erst durch die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen von 1955.


Von Konfrontation zur Verständigung

Auf Konfrontationskurs
Gegründet wird der älteste norddeutsche Grenzverein als „Wohlfahrts- und Schulverein für Nordschleswig” 1919 in Sonderburg. Nach der Volksabstimmung 1920 soll Nordschleswig zu Dänemark gehören. Der Grenzverein bündelt seine Kräfte in der Unterstützung der deutschen Minderheit durch Erhaltung deutscher Bildungsformen und Kulturarbeit. Durch den 2. Weltkrieg kommt die Arbeit zum Erliegen. Kurz nach dem Krieg gründet der Landrat des Kreises Flensburg-Land und späterer schleswig-holsteinischer Ministerpräsident Friedrich Wilhelm Lübke (1887-1954) 1946 den „Verein für Erwachsenen- und Bücherreiwesen“ als Nachfolger des „Wohlfahrts- und Schulvereins für Nordschleswig“. Die Neugründung des Vereins und die inhaltliche Ausrichtung unter der Führung Lübkes sollen einen klaren Gegenpol zum  wachsenden dänischen Einfluss in Südschleswig bilden. 1949 erfolgt die Umbenennung in „Deutscher Grenzverein für Kulturarbeit im Landesteil Schleswig“.


Der Grenzverein als Brückenbauer
Der Deutsche Grenzverein e. V. bemüht sich in seiner gegenwärtigen Bildungsarbeit um das Verständnis und Vertrauen der Menschen in der deutsch-dänischen Grenzregion. Er fördert den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Austausch in Nord- und Mitteleuropa und unterstützt Jugendliche und Erwachsene dabei,  innerhalb ihres sozialen, kulturellen und politischen Umfelds Verantwortung zu übernehmen. Um diese Ziele zu erreichen, betreibt der Deutsche Grenzverein die Jugendbildungsstätte Scheersberg, die Nordsee Akademie in Leck und die Akademie in Sankelmark.


Wandel nicht zu stoppen

Beschleunigter Wandel
Ein Blick in die Landschaft Angeln lohnt. Von der Aussichtsplattform können Sie weit in die Landschaft sehen. Mehr und mehr wird die Landwirtschaft von Biogas und Maisanbau, Wind- und Solarkraft sowie großen Stallungen für die Tierhaltung bestimmt. Das traditionell landwirtschaftlich geprägte Schleswig-Holstein behält auch nach 1945 die landwirtschaftlichen Strukturen bei. Im Laufe der Jahre verschieben sich diese Verhältnisse zwar drastisch, trotzdem sind heute noch immer fast drei Viertel der Fläche Schleswig-Holsteins in landwirtschaftlicher Nutzung.